Vom 21. bis 29. Juli kamen junge stotternde Menschen im Rahmen des Jugend-Austauschprogrammes der Stamily Community aus ganz Europa in Lemele, Niederlande zusammen. Patrik Plöchl, ÖSIS-Kontaktperson für internationale Vernetzung, war zum ersten mal dabei und berichtet von seinen Erfahrungen dort:
Beim Vorbereitungstreffen mit unserer ungarischen Gruppe haben meine Teampartner*innen, die schon letztes Jahr dabei waren, ununterbrochen von dieser lebensverändernden Erfahrung gesprochen – wie sehr sich ihr Blick auf sich selbst und ihr Stottern dadurch verändert hat. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass der Youth Exchange für viele ein einschneidendes Erlebnis sein wird – aber ich war skeptisch, ob das auch für mich so sein wird. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sich bei mir so viel verändern würde. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon die Doku „My Beautiful Stutter“ gesehen (kann ich sehr empfehlen) und hatte dadurch eine ziemlich gute Vorstellung davon, was sie meinten – schließlich begleitet der Film ein Kinder-Stottercamp, das vom Konzept her sehr ähnlich ist.
Obwohl ich sagen würde, dass ich schon einiges in meiner Selbstakzeptanz erreicht habe (was aus meiner Sicht eine lebenslange Reise ist), war meine Vorfreude trotzdem mit einer Portion Angst, Zweifel und eigenen Vorurteilen vermischt.
Ich glaubte immer noch, dass es für mich schwer sein würde, neue Freundschaften zu schließen – einfach, weil das für mich als Stotternder schon immer eine Herausforderung gewesen war. Ich glaubte auch weiterhin an mein eigenes Vorurteil, dass es als stotternde Person grundsätzlich schwierig und mühsam ist, neue Kontakte zu knüpfen, mit anderen in Verbindung zu treten oder ihnen auf emotionaler Ebene wirklich nah zu kommen. Ich hatte Angst, keine spannenden Gespräche führen zu können und mich ausgeschlossen zu fühlen. Und irgendwie hatte ich auch so einen unterschwelligen Groll gegenüber der Gesellschaft – so nach dem Motto: Wenn sich andere nicht bemühen, mit mir in Kontakt zu treten, warum sollte ich mich dann bemühen, sie kennenzulernen?
Der Youth Exchange hat mir geholfen, all diese Gedanken und Vorurteile zu widerlegen – und dafür bin ich unglaublich dankbar. Auch wenn ich am ersten Tag und teilweise noch am zweiten Tag diese bekannte soziale Nervosität gespürt habe, konnte ich, als ich gesehen habe, wie offen alle miteinander umgingen, völlig unabhängig von Herkunft oder Sprache diese Gefühle ablegen und mir selbst erlauben, eine der besten Wochen meines Lebens zu erleben.
- Ich hätte nie gedacht, dass mich so eine verrückte Woche erwartet – bestehend aus einem absolut wilden Rhythmus von:
- So lange schlafen wie möglich, weil ich wieder mal bis vier Uhr morgens wach war – mit Socializing, Spielen oder Karaoke.
- Unmengen Koffein in den Körper kippen, zusammen mit etwas fester Nahrung.
- Workshops, Aktivitäten, Mittag- und Abendessen – natürlich mit so viel Socializing wie nur möglich, sobald sich ein paar freie Minuten ergaben.
- Wieder bis vier Uhr wach bleiben, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, diesmal früher schlafen zu gehen.
- Und dann das Ganze wieder von vorne.
Während der ganzen Woche war ich wahrscheinlich so unbeschwert und nah an meinem wahren Ich wie noch nie zuvor. Diese offene Umgebung hat mir geholfen, all den Alltagsstress und die negativen Selbstbilder abzulegen und mir erlaubt, mein echtes Ich zu spüren – eine Version von mir, zu der mir der Kontakt früher immer schwer gefallen ist.
Ich hatte mein Leben lang nie mehr als zwei oder drei enge Freund*innen gleichzeitig, deshalb hatte ich gehofft, vielleicht auch international ein paar Freundschaften zu schließen. Was ich mir aber nicht im Geringsten vorstellen konnte, war, dass ich mit wirklich allen anderen Teilnehmer*innen Freundschaft schließen würde – dass ich mit Menschen aus allen beteiligten Ländern Spaß haben und tiefgründige Gespräche führen würde.
Ich bin so glücklich, dass ich als ein kompletterer, selbstverbundener Mensch nach Hause gekommen bin. Was auch immer dein wahres oder vielleicht verborgenes Ich ist: falls du stotterst, dann melde dich unbedingt am nächsten Stamily Youth Exchange an. Du wirst überrascht sein, was du in dir entdeckst!
An alle Teilnehmer*innen, die das hier vielleicht lesen: Es war so inspirierend, zu sehen, wie jede*r von euch in dieser Woche gewachsen ist! Ihr seid alle auf eure ganz eigene Weise besonders und wertvoll. Ich freue mich darauf, euch irgendwann, irgendwo wiederzusehen! 💕

Stamily Erasmus+ Youth Exchange ist ein von ERASMUS+ gefördertes Austauschprogramm für junge Stotternde zwischen 18 und 30 Jahren. Eine Woche voller Workshops, Aktivitäten und interkultureller Begegnungen bietet Teilnehmenden einen sicheren Rahmen zum Austausch, Lernen und Stärken des Selbstvertrauens. Im Mittelpunkt stehen Austausch und gegenseitiges Verständnis, ohne Sprachtherapie. Das Programm wird von Betroffenen selbst organisiert und schafft so ein besonders authentisches, unterstützendes Umfeld.
ÖSIS ist seit diesem Jahr Teil der Stamily-Community. Es gibt schon Pläne, in den nächsten 1-2 Jahren eine Austauschwoche zu organisieren, bei der auch österreichische Teilnehmende dabei sind. Wenn ihr Interesse habt, könnt ihr euch gern bei uns melden: oesis@stotternetz.at.
Mehr Infos unter: https://www.stamily.org/youth-exchanges
