Was ist Stottern?

Viele bezeichnen Stottern als ‚Sprachfehler‘, was logopädisch inkorrekt ist.

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Sprach- und Sprechstörungen:

Sprachstörung ist die Störung der gedanklichen Erzeugung und des Gesamtablaufs von Sprache. Sprachaufbau und Sprachvermögen sind beeinträchtigt.

Sprechstörung (oder Sprechablaufstörung) ist die Unfähigkeit, Sprachlaute korrekt und flüssig zu artikulieren. Nur die motorische Erzeugung von Lauten ist betroffen.

Was sind die Symptome?

Stottern (med.: Balbuties) ist eine Störung des Sprechablaufs und macht sich in auffällig häufigen Unterbrechungen im Redefluss bemerkbar. Redefluss-Störungen gibt es zwei; die andere Redeflussstörung ist das Poltern (med.: Battarismus, Tachyphemie, Tumultus sermonis, seltener: Paraphrasia praeceps). 

Poltern ist hingegen charakterisiert durch eine stark erhöhte Sprechgeschwindigkeit, Auslassungen und Verschmelzung von Lauten, Lautersetzungen und Lautveränderungen, die häufig zur Unverständlichkeit führen. Polternde Menschen haben – im Gegensatz zu stotternden Menschen – für gewöhnlich kein oder nur ein geringes Maß an Störungsbewusstsein.

Stottern und Poltern können aber auch in Mischformen auftreten.

Beim Stottern kommt es in der primären Symptomatik zu Wiederholungen von Satzteilen, Worten und Silben (klonische Elemente) oder zu Dehnungen und Blockaden (tonische Elemente). Stottern verläuft zu Beginn meistens phasenweise: mal ist es häufiger, dann seltener oder auch gar nicht vorhanden. Mit zunehmendem Alter kann es sich verfestigen. Es können sich Sekundärsymptome einstellen, wie Vermeidensverhalten, Satzumstellungen, körperliche Mitbewegungen, Kommunikations- und Versagensängste.

Wo kommt das Stottern her?

Die aktuell fachlich anerkannte Einteilung des Stotterns nach Univ.-Prof. Dr. med. Katrin Neumann et al. unterscheidet vier unterschiedliche Verursachungen von Stottern (Pathogenese):

  1. originäres (= nicht-erworbenes) Stottern
    1. neurogen nichtsyndromal (oft auch als ‚idiopathisch‘ oder als ‚gewöhnliches Stottern‘ bezeichnet)
    2. neurogen syndromal
  2. erworbenes Stottern
    1. neurogen
    2. psychogen

Hierzu ein paar Erläuterungen:

  1. Das (erworbene) psychogene Stottern (siehe oben Punkt 2.2) ist sehr selten und tritt infolge eines Psychotraumas oder einer psychiatrischen Grunderkrankung nach der Pubertät akut zu Tage und ist durch logopädische Interventionen wie dem Chorsprechen oder dem Singen nicht beeinflussbar.
  2. Das erworbene neurogene Stottern (s.o. 2.1) tritt nach Gehirnverletzungen auf, wie z.B. Schlaganfällen, Gehirnblutungen oder durch schwere Unfälle.
  3. Das (originär neurogen) syndromale Stottern (s.o. 1.2) tritt als (Begleit-)Symptom von Störungen anderer Ursache auf, z.B. bei Trisomie 21.
  4. Das originär neurogene (nichtsyndromale) Stottern (s.o. 1.1) ist im Gegensatz zu den anderen Verursachungen recht häufig. Es entsteht in der (frühen) Kindheit durch genetische Ursachen als bedingende Faktoren. Auslösende Faktoren starten das Aufkommen von primärer Symptomatik. Aufrechterhaltende Faktoren verfestigen die Redeflussstörung.

Wenn im Folgenden von ‚Stottern‘ gesprochen wird, ist meist originär neurogenes Stottern gemeint.

 

Stottern ist also – im Gegensatz zu verbreiteten Meinungen – nicht psychisch bedingt, es ist keine Krankheit und auch nicht ansteckend.

Was ist die Ursache?

Die Komplexität von Sprache und Sprechen bedingt, dass die Ursache des Stotterns nicht immer genau eingegrenzt werden kann. Daher haben sich folgende Erklärungsmodelle durchgesetzt:

A. Die multifaktorielle Betrachtungsweise geht davon aus, dass immer mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, um Stottern auszulösen und zu verfestigen:

  • Organische Ursachen: neurologische Störungen, Veränderung der zerebralen Dominanz, neuromotorische Koordinationsstörung, Wahrnehmungsstörung.
  • Erblich bedingte Ursachen: Es wird nur die Veranlagung vererbt, Stottern tritt oft familiär gehäuft auf. Die Umstände der ersten Lebensjahre und der Sprachentwicklung bestimmen dann, ob die Anlage zum Vorschein kommt oder nicht.
  • Psychische Einflüsse: Verschiedene seelische Belastungen, denen ein Kind schon sehr früh ausgesetzt ist, können sich in Störungen der Sprache und des Sprechens bemerkbar machen.
  • Soziokulturelle Einflüsse: Schon in frühester Kindheit ist dialogisches Sprechen heute immer weniger Hauptkommunikationsmittel. Mangelnde Übung und Anregung führen dazu, dass Kinder in ihrer Sprachentwicklung zu wenig gefördert werden.

B. Das Anforderungs- und Kapazitätenmodel erklärt das Stottern damit, daß die notwendigen kommunikativen Fähigkeiten für ein fließendes Sprechen nicht ausreichen.

 

C. Die idiographische (einzelfallorientierte) Betrachtungsweise sagt aus, dass sich jeder Stotternde nicht nur in seiner Symptomatik, sondern auch bei Ursache, Weiterentwicklung und aktueller Problemstellung von jedem anderen Stotternden unterscheidet.

Häufig gestellte Fragen

Bei der Redeflussstörung Stottern ist es problematisch, von „Heilung“ zu sprechen – also von Heilung im Sinne von Beseitigung der Ursache. Es gibt keine Pille gegen das Stottern und keine Therapie, die alle Stotternden vom Stottern befreit, wenn sie alles nach Anleitung machen und entsprechend fleißig üben, in dem Sinne: „Wer keinen Erfolg hat, ist selber schuld.“

Stottern ist vor allem eine individuelle Angelegenheit. Kaum zwei Menschen stottern auf die gleiche Art und Weise, jede/r hat im Laufe des Lebens eigene Erfahrungen gemacht, sich Vermeidungs- und Bewältigungstrategien angeeignet. Manche Betroffene haben durchaus großartige Erfolge erzielt und ihr Stottern überwunden. Viele Betroffene haben es geschafft, ihr Sprechen flüssiger zu gestalten, ihre Sprechangst zu mindern und ihre Lebensqualität zu verbessern.

Schätzungen besagen, dasst, dass ca. 1% der Erwachsenen Bevölkerung stottert. Kinder hingegen belaufen sich Schätzungen auf 5%.

Auch beim Geschlecht gibt es Häufigkeitsunterschiede.  Im Vergleich zu Mädchen, beginnen Jungs zirka doppelt so oft zu stottern.

Bei Erwachsenen wird der Unterschied größer und steigt auf ein Verhältnis von etwa 5:1.

Ja, es gibt viele Prominente, die stottern. Hier sind einige Beispiele:

  • Bruce Willis, der Schauspieler, ist ein bekannter Stotterer. Er hat in Interviews offen über sein Stottern gesprochen und gesagt, dass er es nicht als Behinderung sieht, sondern als Teil seiner Identität.
  • Marilyn Monroe, die Schauspielerin, stotterte in ihrer Kindheit. Sie hat ihr Stottern überwunden, aber es hat sie zeitlebens begleitet.
  • Samuel L. Jackson, der Schauspieler, stottert seit seiner Kindheit. Er hat gesagt, dass sein Stottern ihn dazu inspiriert hat, ein Schauspieler zu werden, weil er es als Herausforderung betrachtete.
  • Rowan Atkinson, der Schauspieler, ist ein bekannter Stotterer. Er hat in seiner Rolle als Mr. Bean eine Figur geschaffen, die stottert.
  • Ed Sheeran, der Sänger, stottert seit seiner Kindheit. Er hat gesagt, dass sein Stottern ihn zu einem besseren Sänger gemacht hat, weil er sich auf seine Stimme konzentrieren musste.

Ja, (idiopatisches) Stottern wird zu einem großen Teil vererbt. Studien haben gezeigt, dass Kinder von Eltern, die stottern, ein deutlich höheres Risiko haben, selbst zu stottern,. weswegen Stottern in betroffenen Familien gehäuft auftritt.

Es wird vermutet, dass Stottern durch eine Kombination von genetischen und Umweltfaktoren verursacht wird. Genetische Faktoren tragen dazu bei, dass ein Kind anfälliger für Stottern ist, während Umweltfaktoren wie Stress oder Angst das Stottern auslösen oder verschlimmern können.

Es ist wichtig zu beachten, dass Stottern nicht direkt vererbt wird. Es gibt kein einzelnes Gen, das (idiopathisches) Stottern verursacht. Stattdessen tragen mehrere Gene dazu bei, dass ein Kind anfälliger für Stottern ist.

Ja. Das ganze nennt sich Nachteilsausgleich in der Ausbildung.

Stotternde Menschen haben daher ein Recht, ihre Kenntnisse bei Prüfungen gleichberechtigt mit
nicht stotternden Menschen zu präsentieren. Es muss ein Nachteilsausgleich stattfinden, der in den
österreichischen Bildungs- und Studiengesetzen „abweichende Prüfungsmethode“ genannt wird.

Genauere Infos findest du in diesem PDF:

Nachteilsausgleich (PDF, 676kB)

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Literatur